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Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart untersucht Relikte des NS-zeitlichen Unternehmens „Wüste“

Projekt mit Universität Tübingen zur Erforschung des Erzinger Schieferölmeilers

 

Pressetermin mit Probeentnahme vor Ort am Donnerstag, 1. Juli 2021, 14:00 Uhr, bei Balingen

 

Pressemitteilung Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Archäologische Denkmalpflege

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart führt derzeit ein Projekt durch, bei dem die Standorte ehemaliger Konzentrationslager in Baden-Württemberg auf Denkmaleigenschaft geprüft werden.

 

Auch die Hinterlassenschaft des damaligen Unternehmens „Wüste“ im Vorland der Zollernalb rückt dabei in den Fokus. Zur Erforschung des sogenannten Erzinger Schieferölmeilers, einem temporär errichteten Ofen zur Verschwelung von Ölschiefer zu Rohöl, arbeitet das LAD zusammen mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters und dem Competence Center Archaeometry Baden-Wuerttemberg an der Universität Tübingen. Ziel ist es, Aufbau, Funktion und Effektivität des Verfahrens, das damals von KZ-Häftlingen durchgeführt werden musste, zu erforschen und die materiellen Spuren des nationalsozialistischen Terrors mit archäologisch-archäometrischen Methoden zu erschließen. Mit zusätzlichen Schrift- und Bildquellen sowie Zeitzeugenberichten sollen bestehende Kenntnislücken zu den industriellen Produktionsschritten und der Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern geschlossen und weitere Forschungsperspektiven evaluiert werden. 

 

Am 1. Juli 2021 soll deshalb eine systematische Probenentnahme aus dem Meiler erfolgen. Zur Klärung der Meilerkonstruktion wird mit dem Bagger ein Profilsegment freipräpariert.

 

Hierzu laden wir Sie als Pressevertreterin bzw. als Pressevertreter herzlich ein am

 

Donnerstag, 1. Juli 2021, 14:00 Uhr

700 Meter südlich von

Bronnhaupten 2, 72336 Balingen

(siehe auch beigefügte Anfahrtsskizze)

 

Nach einer allgemeinen Einführung werden die Projektbeteiligten die Zielsetzung ihrer Forschung und den sichtbaren Befund am Meiler erläutern. Außerdem bietet sich die Möglichkeit, Fragen an die Beteiligten zu richten.

 

Als Gesprächspartner stehen vor Ort zur Verfügung:

 

  • Dr. Christian Bollacher (LAD), Leiter Forschungsprojekt KZ-Komplex Natzweiler
  • PD Dr. Lukas Werther, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
  • Dr. Christoph Berthold, Leiter des Competence Center Archaeometry Baden-Wuerttemberg

 

Der Termin ist für die Dauer von einer Stunde geplant. Die aktuellen Corona-Regelungen sind vor Ort einzuhalten. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wird empfohlen.

 

Neben der wissenschaftlichen Zielsetzung ist es den Projektbeteiligten insbesondere ein Anliegen, den Erzinger Meiler als eines der wenigen verbliebenen Relikte des „Unternehmens Wüste“ und als wichtiges Kulturdenkmal aus dem Kontext der nationalsozialistischen Terrorherrschaft aufs Neue ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und die Arbeit der vor Ort tätigen Gedenkstätten-Initiativen zu unterstützen.

 

 

Hintergrundinformation:

Im Juli 1944 ordnete Albert Speer, Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, die systematische Nutzung des im Vorland der Schwäbischen Alb anstehenden Ölschiefers, dem sogenannten Posidonienschiefer, zur Öl- und Treibstoffproduktion an.

Unter dem Decknamen Unternehmen „Wüste“ sollten zwischen Tübingen und Rottweil zehn riesige Schieferölfabriken entstehen. Um die immense Bauleistung in dem utopisch knapp bemessenen Zeitraum von nur wenigen Monaten umsetzen zu können, griff man auf die Arbeitskraft von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zurück. Im Kontext des Unternehmens „Wüste“ entstanden ein Lager für russische Kriegsgefangene und sieben Konzentrationslager, letztere wurden vom Hauptlager in Natzweiler-Struthof aus verwaltet.

 

Erwartungsgemäß geriet das Unternehmen „Wüste“ zum fulminanten Fehlschlag. Lediglich vier der Schieferölwerke konnten vor Kriegsende einen Notbetrieb aufnehmen, der Ertrag des technisch simplen Meilerschwelverfahrens erfüllte nicht ansatzweise die illusorischen Erwartungen, größere Mengen Rohöl zu gewinnen. Verheerender als die ökonomische und ökologische Bilanz der brachialen Industrialisierungsmaßnahme fiel indessen deren humanitäres Resümee aus: Mehr als 12.500 Menschen erlitten in den Konzentrationslagern das namenlose Leid psychischen Terrors, körperlicher Ausbeutung und mangelnder Versorgung. Mehr als ein Viertel von ihnen erlag der brutalen Misshandlung.

 

Zu den wenigen materiellen Relikten, die vom Unternehmen „Wüste“ geblieben sind, gehört der 360 Meter lange Ölschiefermeiler auf der Kilchsteige nördlich von Erzingen, der Gegenstand der aktuellen Forschungen ist.

 

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme und stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihre Pressestelle

Regierungspräsidium Stuttgart, 0711/904-10002

 

 

Anlage:

Anfahrtsskizze