Seit dem 17. Juli 2016 zählen die beiden Häuser des Architekten Le Corbusier (1887–1965) in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung zum Weltkulturerbe. Die UNESCO nahm an diesem Tag in Istanbul gleich mehrere seiner Bauten in sieben Ländern in die Liste des Welterbes auf.
Ein Architekt der klassischen Moderne
Le Corbusier (1887-1965), eigentlich Charles-Édouard Jeanneret, gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Architekten und Städtebauer des 20. Jahrhunderts, obwohl er nie ein Studium in diesen Disziplinen absolvierte. Nach einer kunstgewerblichen Ausbildung an der École d‘Art in seiner Heimatstadt La Chaux-de-Fonds in der Schweiz, die sein architektonisches Interesse weckte, sowie ersten eigenen Bauten und ausgedehnten Reisen durch Europa, übersiedelte Le Corbusier 1917 nach Paris und wurde dort zu einem Wegbereiter der Avantgarde in Kunst und Architektur. Viele seiner Entwürfe und Werke haben einen außergewöhnlichen Symbolcharakter und inspirierten Architekten und Bauherren in vielen Ländern. Als Architekt und Städtebauer war er weltweit tätig.
In Europa befinden sich Hauptwerke in Frankreich, der Schweiz, in Deutschland und in Belgien. Außerhalb Europas entwarf und realisierte er Bauten in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Japan, Indien, Nordafrika und Südamerika.
Der Antrag zum Weltkulturerbe
Bisher war kein Werk von Le Corbusier auf der Welterbeliste der UNESCO (englisch: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, deutsch: Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) vertreten. Daher brachte das französische Ministerium für Kultur und Kommunikation gemeinsam mit der Fondation Le Corbusier bereits ab 2002 eine Initiative in Gang, die sich zum Ziel setzte, eine Auswahl von Gebäuden Le Corbusiers, die in besonderer Weise dessen Beitrag für die moderne Architektur widerspiegeln, für die Aufnahme in die Welterbeliste zu nominieren.
Entscheidung fiel im Juli 2016
Nach zwei vergeblichen Anläufen (2004-2009) und (2009-2011) hat das Welterbekomitee bei seiner 40. Sitzung vom 10. bis 20. Juli 2016 in Istanbul das Architektonische Werk von Le Corbusier in die Welterbeliste eingetragen. Die Sitzung wurde vom Putschversuch in der Türkei unterbrochen, konnte aber dennoch erfolgreich zu Ende geführt werden. Unter dem Titel „Das architektonische Werk von Le Corbusier - ein außergewöhnlicher Beitrag zur Moderne“ haben die sieben Staaten Argentinien, Belgien, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan und die Schweiz einen gemeinsamen, transnationalen Antrag eingereicht. Er umfasst 17 architekturgeschichtlich herausragend und gut erhaltene Bauwerke und Baugruppen. Die nachstehend einzeln benannten Hauptwerke seiner schöpferischen Leistung bezeugen die Globalisierung der Moderne.
1 | Doppelhaus La Roche und Jeanneret | Paris, Frankreich | 1923 |
2 | Kleine Villa am Genfer See | Corseaux, Schweiz | 1923 |
3 | Siedlung Frugès | Pessac, Frankreich | 1924 |
4 | Haus Guiette | Antwerpen, Belgien | 1926 |
5 | Häuser in der Weißenhofsiedlung | Stuttgart, Deutschland | 1927 |
6 | Villa Savoye und Unterkunft des Gärtners | Poissy, Frankreich | 1928 |
7 | Maison Clarté | Genf, Schweiz | 1930 |
8 | Mietshaus an der Porte Molitor | Boulogne-Billancourt, Frankreich | 1931 |
9 | Unité d’habitation | Marseille, Frankreich | 1945 |
10 | Fabrik | Saint-Dié-des-Vosges, Frankreich | 1946 |
11 | Haus von Doktor Currutchet | La Plata, Argentinien | 1949 |
12 | Kapelle Notre-Dame-du-Haut | Ronchamp, Frankreich | 1950 |
13 | Ferienhaus von Le Corbusier („Cabanon“) | Roquebrune Cap-Martin, Frankreich | 1951 |
14 | Regierungsgebäude (Capital Complex) | Chandigarh, Indien | 1952 |
15 | Kloster Sainte-Marie-de-la-Tourette | Eveux-sur-Arbresle, Frankreich | 1953 |
16 | Nationalmuseum für westliche Kunst | Taito-Ku/Tokio, Japan | 1955 |
17 | Haus der Kultur | Firminy, Frankreich | 1953 |
Bauten von Le Corbusier in Stuttgart
Deutschland ist in der Serie mit zwei Häusern in Stuttgart beteiligt, die 1927 nach Entwürfen Le Corbusiers im Rahmen der Werkbundausstellung „Die Wohnung“ in der Weißenhofsiedlung entstanden. Mit dieser Ausstellung gelang es dem Deutschen Werkbund gemeinsam mit der Stadt Stuttgart ein bis heute wirksames Zeichen der Moderne zu setzen. Ihre besondere Bedeutung gewinnen die Häuser von Le Corbusier in Stuttgart als Prototypen für zwei unterschiedliche Wege der Standardisierung im Wohnungsbau. Bereits während der Ausstellung riefen sie in besonderem Maße begeisterte Zustimmung oder tiefe Ablehnung hervor
Das Einfamilienhaus
Das Einfamilienhaus am Weißenhof (Bruckmannweg 2) entstand als „Citrohan-Typ“ und gilt als kompromisslose Realisierung dieses ab 1920 entwickelten Gebäudekonzepts. Es stellt sich von außen als einfacher, kubischer Baukörper dar, der in vielfacher Weise vervielfältigbar ist. Im Inneren allerdings öffnet sich ein differenziertes Raumgefüge mit zweigeschossiger Wohnhalle, um die sich kleine Individualräume gruppieren.
Das Doppelhaus
Das Doppelhaus (Rathenaustraße 1 und 3) konzipierte Le Corbusier als „transformables Haus“ mit zwei spiegelbildlich angeordneten Wohneinheiten, in denen Räume durch mobile Einbauten unterschiedliche Nutzungen erfahren können. Mit dieser Idee bot Le Corbusier eine Möglichkeit, Bauvolumen und Kosten einzusparen.Gleichzeitig ist der Bautyp in mannigfaltiger Weise variabel. Mit seinen sichtbaren Stahlstützen, langen Fensterbändern, großem Dachgarten und freier Grundriss- und Fassadengestaltung veranschaulicht das Doppelhaus in großer Klarheit die von Le Corbusier postulierten „fünf Punkte zu einer neuen Architektur“. Das Gebäude dient seit 2006 als Weißenhofmuseum.
Die Weißenhofsiedlung
Über die beiden Bauten von Le Corbusier hinaus gehört die Weißenhofsiedlung in Stuttgart insgesamt zu den herausragenden Zeugnissen der Klassischen Moderne. In der aktuellen Praxis der Bau- und Kunstdenkmalpflege stellt der denkmalgerechte Umgang mit Bauzeugnissen dieser Epoche eine ebenso wichtige wie anspruchsvolle Herausforderung dar. Seit Jahren findet daher innerhalb des Landesamtes für Denkmalpflege eine qualifizierte und breit gefasste Auseinandersetzung mit dem Schutzgut der Weißenhofsiedlung und insbesondere den Gebäuden von Le Corbusier statt.
Für die Instandsetzung und Restaurierung auch solcher Bauwerke sind präzise Bauuntersuchungen unverzichtbar, um deren Qualitäten bewerten und Konzepte für einen Substanz schonenden Umgang entwickeln zu können. Die Ergebnisse der Bauforschung am Doppelhaus von Le Corbusier hat Bauforscherin Claudia Mohn vom Landesamt für Denkmalpflege bereits in einem Nachrichtenblattartikel des Jahres 2008 zusammengefasst. Seit 2013 wird seitens der Landesdenkmalpflege in einer Kooperation mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der Oberfinanzdirektion (Bundesbau BW) und der Stadt Stuttgart an einem digitalen Monument-Archiv für die gesamte Weißenhofsiedlung gearbeitet. In dieses Archiv wird der gesamte Akten- und Planbestand, der bei den beteiligten Institutionen vorhanden ist, überführt und digitalisiert.
Dieses Material wird zudem bauhistorisch qualifiziert und ausgewertet, sodass für zukünftig geplante Umbaumaßnahmen wesentliche denkmalpflegerische Informationen schnell abrufbar sind. Letztlich werden aus diesen Erkenntnissen denkmalpflegerische Leitziele für den zukünftigen Umgang mit der hoch bedeutenden und nunmehr in Teilen mit dem Welterbetitel ausgezeichneten Weißenhofsiedlung entwickelt.