Denkmale

Das römische Neuenstadt - Aufstieg und Niedergang eines antiken Verwaltungszentrums am Rande des Imperium Romanum

DFG-Projekt: Siedeln in dynamischen Räumen − Neuenstadt am Kocher und die Civitas Aurelia G(...) als Modell für Urbanisationsprozesse in römischen Grenzzonen des 2. Jahrhunderts n. Chr. (Drittmittelprojekt 2022−2025)

 

Mit der römischen Stadtanlage von Neuenstadt am Kocher liegt eine der spektakulärsten Neuentdeckungen aus der Römerzeit in Deutschland vor. Nun widmet sich ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Land Baden-Württemberg und der Universität Bamberg getragenes Forschungsprojekt diesem außergewöhnlichen archäologischen Kulturdenkmal, das dank einer kompletten Siedlungsverlagerung in nachrömischer Zeit bis heute nicht überbaut wurde.

Das vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg (LAD) und der Professur für Archäologie der Römischen Provinzen der Universität Bamberg durchgeführte Projekt befasst sich mit Urbanisierungsmaßnahmen und damit in Zusammenhang stehenden Stadt-Umland-Beziehungen in Grenzzonen des Imperium Romanum. Ausgangspunkt ist die in den 1980er Jahren entdeckte, 25 bis 30 Hektar große, römische Stadtanlage bei Neuenstadt am Kocher (Landkreis Heilbronn). Mit seinen für Deutschland ausnehmend guten Erhaltungsbedingungen und dank der langjährigen forschungsorientierten Vorarbeiten durch das LAD bietet der Platz beste Voraussetzungen, um die Feldforschungen fragengeleitet fortzusetzen.

 

Systematische Luftbildprospektionen seit den späten 1980er Jahren, geophysikalische Messungen und umfassende Ausgrabungen zwischen 2003 und 2013 brachten Strukturen zu Tage, bei denen es sich um nichts Geringeres als um eine ausgedehnte Siedlung mit zentralörtlicher Funktion handeln kann (Abb. 1-2). Angelegt hat man sie auf einem klimatisch und verkehrstechnisch begünstigten, terrassenartig gestuften Südhang am Kocher (ca. 182 m NHN).

 

 

Einen Schwerpunkt der bisherigen Ausgrabungen stellte der monumentale Tempelbezirk des griechisch-römischen Gottes Apollo dar, der nach Aussage der in und im unmittelbaren Umfeld von Neuenstadt gefundenen Inschriften hier in einer Verschmelzung mit dem keltischen (Heil-)Gott Grannus verehrt wurde (Abb. 3). Diese Ausgrabungen sind Gegenstand einer Bamberger Dissertation. Die Tatsache, dass mehrere, seit der Zeit um 1600 aus Neuenstadt und Umgebung bekannt gewordene Inschriften Amtsträger einer römischen Gebietskörperschaft mit dem bislang noch unvollständigen Namen civitas Aurelia G(---) benennen, erlaubt den Schluss, die hinsichtlich ihrer Größe und baulichen Ausstattung in diesem Gebiet singuläre Stadtanlage bei Neuenstadt als Zentralort dieser civitas zu interpretieren. Die Lage von Neuenstadt in einem Gebietsstreifen, der erst mit der Vorverlegung der römischen Grenze um 155/160 n. Chr. Teil des Reichs wurde, weist ebenso wie die Bezeichnung der Verwaltungseinheit darauf hin, dass das Territorium erst erschlossen wurde, als mit Marcus Aurelius (Regierungszeit 161-180 n. Chr.) in Rom die Gens der Aurelii auf den Kaiserthron kam (Abb. 4). Der Eigenname des antiken Orts ist allerdings noch unbekannt.

 

Die städtische Siedlung wurde nach Vorverlegung des Limes anscheinend ex novo geschaffen. Sie liegt inmitten eines naturräumlich begünstigen Territoriums, aus dem zahlreiche Gutshöfe bekannt sind. Um das neuerschlossene Territorium möglichst ohne große zeitliche Verzögerung nach römischen Prinzipien zu gestalten, engagierte sich vermutlich der römische Staat durch eine besondere Fürsorge, die u.a. in Form einer exzeptionellen baulichen und statuarischen Ausgestaltung des Stadtraums zum Ausdruck kommt. Dazu gehören unter anderem ein repräsentativer Apsidenbau in prominenter Position an der höchsten Stelle der Siedlung (Abb. 2, A; 5), ein monumentales Gebäude mit zentralem Hof, das an Amts- oder Unterkunftsgebäude hoher römischer Amtsträger (praetoria) erinnert (Abb. 2, D; Abb. 7), aber auch die zerschlagenen Reste einer monumentalen Bronzestatue, möglicherweise eines Kaiser- oder Götterbildnisses, die in unmittelbarer Nähe des Apsidenbaus gefunden wurden (Abb. 6).

 

Die Klärung der genauen Funktion und Zeitstellung dieser beiden Großbauten ist ein Schwerpunkt der aktuellen Feldforschungen, mit dem Ziel, in vergleichender Perspektive auch die Funktion und Entwicklung der städtischen Siedlung von Neuenstadt präziser einordnen zu können: Wie steht es um die Gesamtstruktur und die tatsächliche Urbanität der für die Rhein- und Donauprovinzen außergewöhnlichen Planstadt bei Neuenstadt? Was war ihre Existenzgrundlage? Woher kam ihre Bevölkerung, wie war deren wirtschaftlicher Hintergrund, und wie können wir uns die Interaktion mit den militärischen Strukturen im unmittelbaren Umfeld vorstellen?

An diese Fragen knüpfen übergeordnete Forschungsziele an: In einem weiteren geographischen und kulturgeschichtlichen Kontext wird zu diskutieren sein, inwiefern sich in Neuenstadt ein auch in anderen Provinzen erkennbares, spätes Stadtentwicklungsmodell niederschlug, oder ob bzw. inwiefern die stark vom Militär beeinflussten lokalspezifischen Strukturen den außergewöhnlichen Ausbau bestimmt haben.

Die Ausgrabungskampagne 2022 erbrachte bereits vielversprechende Ergebnisse (Abb. 8-9). Über den Projektfortschritt wird jährlich in der vom LAD in Zusammenarbeit mit Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern und dem Förderkreis Archäologie in Baden herausgegebenen Reihe „Archäologischen Ausgrabungen in Baden-Württemberg“ (wbgTheiss) berichtet werden.

Literatur

 

Michaela Konrad, Klaus Kortüm, Siedeln in dynamischen Räumen. Das römische Neuenstadt und die Grenzzone am Limes im Blick der aktuellen Forschung. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4/2022, 278-285 (mit weiterer Literatur).

 

Klaus Kortüm, Die civitas Aurelia G(---) – Eine gallorömische Siedlergemeinschaft hinter dem Limes. In: J. Scheuerbrandt – A. W. Schmitt (Hrsg.), Gallia pacata. Caesars Krieg und die Romanisierung der Gallier. Exploratio – Schriften des Limesmuseum Osterburken I (Osterburken 2015) 64–89.

 

 

Ansprechpartner LAD

Dr. Klaus Kortüm

Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

Zentrale Dienste und Denkmalforschung

Dienstsitz Esslingen

Tel.: 0711 904 45245

klaus.kortuem@rps.bwl.de

 

Externe Ansprechpartner

Prof. Dr. Michaela Konrad

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Archäologie der Römischen Provinzen

Am Kranen 14

96047 Bamberg

michaela.konrad@uni-bamberg.de

 

Dr. habil. Andrea Faber

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Archäologie der Römischen Provinzen

DFG-Projekt ‚Siedeln in dynamischen Räumen – Neuenstadt am Kocher‘

Am Kranen 14

96047 Bamberg

Andrea.Faber@uni-bamberg.de

 

 

Weitere Informationen:

 

Flyer zum römischen Neuenstadt am Kocher erhalten Sie hier.

 

Projektseite Uni Bamberg können Sie hier einsehen.

 

Veranstaltungen der Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern e.V. zu Neuenstadt a.K. finden Sie hier.