Denkmale

Ulm – Großgrabung Neue Straße

Ulm – Bedeutende Stadt des Mittelalters

Seit dem Mittelalter zählt die Stadt Ulm zu den herausragenden Städten Süddeutschlands. Die Bedeutung Ulms als karolingischer Pfalzort und Hauptstützpunkt der Staufer sowie eine der mächtigsten Reichsstädte im Spätmittelalter spiegelt sich sehr eindrücklich in den historischen Quellen. Hinweise über die Entstehung und Entwicklung Ulms im Mittelalter finden sich jedoch kaum.

Archäologische Ausgrabungen in Ulm

Aus diesem Grund ist die Stadt Ulm seit über 20 Jahren einer der Schwerpunkte der Mittelalterarchäologie im heutigen Landesamt für Denkmalpflege. Mittlerweile erlauben eine Vielzahl an archäologischen Ausgrabungen in der Altstadt Einblicke in die komplexe Besiedlungsgeschichte. Einen Höhepunkt fanden die stadtarchäologischen Rettungsgrabungen jedoch mit den Untersuchungen in der Neuen Straße, die vom heutigen Landesamt für Denkmalpflege in den Jahren 2001 bis 2004 durchgeführt wurden.

Für Baden-Württemberg einmaliger Querschnitt durch eine Stadt

Die Bedeutung der Großgrabung Ulm – Neue Straße liegt in der beachtlichen Größe der 10.000 qm messenden Ausgrabungsfläche und noch mehr in der Länge des ca. 600 m reichenden Grabungsschnittes. Dieser Querschnitt durch die gesamte staufische Stadt erlaubt einen aufschlussreichen Einblick in die Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Stadt Ulm. Damit unterscheidet sich die Ausgrabung grundlegend von anderen meist kleinräumigen stadtarchäologischen Untersuchungen.

Grabungsursache: Rückbau der Neuen Straße

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand die Neue Straße als Reaktion der Stadt Ulm auf den rasant zunehmenden Verkehr. Mehrere Baublöcke der historischen Altstadt mussten weichen. Die unterirdischen Reste blieben allerdings unter dem Asphalt erhalten. Das Ergebnis war eine bis zu 30 m breite Straße, die die historische Altstadt durchschnitt. Die Rettungsgrabung wurde notwendig als man sich nach intensiver Planung für den Rückbau der Neuen Straße und den Neubau einer Tiefgarage entschied.

Organisation der Ausgrabungen

Die Ausgrabungen waren eng mit den Zeitvorgaben der Baustelle verknüpft und mussten bauvorgreifend erfolgen. Hierfür wurde die Gesamtfläche entsprechend der Bauabschnitte in insgesamt dreizehn Felder eingeteilt. Eine Mannschaft von 60 Personen war notwendig, um dieses Großprojekt durchführen zu können. Dies wurde möglich, da die Stadt Ulm und die Bundesagentur für Arbeit die Maßnahme dankenswerterweise unterstützten.

Gute Erhaltungsbedingungen für Hölzer

Schon kurz nach Beginn der Ausgrabungen im November 2001 war absehbar, dass sich die Erwartungen erfüllen würden. Im Boden hatten sich umfangreiche archäologische Siedlungsschichten erhalten. Durch die teilweise guten Erhaltungsbedingungen für organische Materialien konnten zahlreiche Hölzer geborgen und dendrochronologisch datiert werden. Auf diese Weise liegt eine Vielzahl von Fälldaten für verbaute Hölzer vor, die Rückschlüsse auf die Entstehungszeit verschiedener Baustrukturen erlaubt. So konnte die Entwicklung von der mittelalterlichen Holzbebauung über die ersten Steinkeller zu den ersten repräsentativen Steinhäusern und der kontinuierlichen Bebauung bis zum Zweiten Weltkrieg dokumentiert werden.

Holzhäuser, Straßentrasse und Märkte

Für die frühe Besiedlung Ulms ließen sich Reste einer Holzbebauung in Form von Pfostengruben und Grubehäusern nachweisen. Wohl bereits im frühen 10. Jahrhundert erschloss eine Straße die Siedlung, die im Laufe der Zeit jedoch ihre Bedeutung verlor. Erst später entstand über diesen frühen Spuren eine Straßentrasse, die um die 1000 Jahre bis zum Zweiten Weltkrieg die Stadt in Ost-West Richtung durchquerte. In der weiteren Siedlungsentwicklung folgten zusammen mit einem Straßenausbau der Zentralmarkt und später eine Parallelstraße sowie ein weiterer Markt im Westen. Dieser Ausbau wird nach den Dendrodaten aus den Flechtwerkaussteifungen eines deutlich jüngeren Straßengrabens bereits im 10. Jahrhundert stattgefunden haben. Aufeinanderfolgende Pflasterungen zeugen von der langen Platzkonstanz der Straßen und Märkte.

Erste Steinhäuser um 1100

Im 11. Jahrhundert verdichtet sich die Bebauung zunehmend. Bereits um 1100 entstanden die ersten Steinhäuser. Zu den frühesten massiven Gebäuden ist das Haus in der Langen Str. 12 zu zählen, das sich aufgrund der mächtigen, bis zu 1,8 m breiten Mauern und des quadratischen Grundrisses als Turmhaus ausweist. Durch die parzellenübergreifende Grabung konnte die bauliche Entwicklung der verschiedenen Gebäude und der Grundstücke im Lauf der Jahrhunderte nachvollzogen werden.

Ulm wird eine der bedeutendsten Reichsstädte

Einen Bruch in der Entwicklung werden die historisch überlieferten Zerstörungen der Stadt im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Staufern in den Jahren 1131 und 1134 dargestellt haben. Tatsächlich finden sich in den archäologischen Ausgrabungen wiederholt Spuren großer Brandeinwirkungen, die sich möglicherweise in den Zusammenhang mit den überlieferten Ereignissen stellen lassen. Den folgenden Aufstieg Ulms zu einer der bedeutendsten Reichsstädte lässt sich archäologisch u. a. durch die Errichtung der öffentlichen Großbauten im 14. Jahrhundert fassen, die die älteren kleinteiligen Strukturen ablösen und deren Entwicklung sich anhand der Untersuchungen in der Neuen Straße beispielhaft nachvollziehen lassen. So errichteten die Kürschner 1360 ihr erstes 700 m2 großes Zunfthaus, das bereits 1389 vom Salzstadel und schließlich 1460 vom städtischen Kaufhaus, die „Gräth“, abgelöst wird.

Stadtbefestigung

Verschiedene untersuchte Grabenabschnitte stellen Zeugnisse der sich zeitlich ablösenden Befestigungen Ulms dar. So ließ sich erneut ein Teil des mächtigen 15-18 m breiten und 6 m tiefen Stadtgrabens am Ostrand der staufischen Stadt nachweisen. Im Westen der Neuen Straße hingegen konnten Befestigungsgräben erfasst werden, die den Ostrand des Pfalzareals auf dem Weinhof gegenüber der Siedlung abgrenzten.

Zeugnisse des Zweiten Weltkrieges

Auch zur jüngsten Vergangenheit der Stadt fanden sich eindrucksvolle Belege. Die Rettungsgrabungen erbrachten in den im Bombenhagel am 17. Dezember 1944 zerstörten Häuser neben verschütteten Alltagsgegenständen auch ein Fluchttunnelsystem. Dies verband die Keller der einzelnen Häuser, um den Bewohnern die Flucht in den Nachbarkeller zu ermöglichen, falls ein Entkommen aus dem eigenen Keller nicht mehr möglich war. Diese Zeugnisse der jüngsten Vergangenheit zeigen wie vielfältig die Informationen sind, die sich bis heute im Boden des Stadtgebiets erhalten haben und durch archäologische Ausgrabungen zu Tage kommen.

Wissenschaftliche Auswertung

Im Anschluss der Ausgrabung wurde mit der Aufbereitung der Grabungsdokumentation begonnen, um zeitnah durch die Vorlage eines Befundkataloges die Grundlage für eine wissenschaftliche Auswertung der „Neuen Straße“ zu schaffen. Dank eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes zur „Stadtwerdung und Entwicklung Ulms im Hoch- und Spätmittelalter“ am Landesamt für Denkmalpflege konnten seit Oktober 2007 die Auswertungen der entscheidenden archäologischen Ausgrabungen im Ulmer Stadtgebiet begonnen werden.

 

Link

Projekt „Stadtwerdung Ulm”

Ansprechpartner

Scheschkewitz
Jonathan

Stellvertretender Referatsleiter 84.2, Gebietsreferent Archäologische Denkmalpflege, Schwerpunktgrabungen

Landesamt für Denkmalpflege

Dienstsitz Esslingen

Referat: 84.2
Berliner Straße 12
73728 Esslingen am Neckar
84.2